Internationales Management: Die Berücksichtigung des fremden Umfeldes als Kernproblem internationaler Unternehmenstätigkeit

 

Quer über den Erdball wird im Internet gesurft. Nationale Grenzen lassen sich dabei spielend überwinden. Ganz anders sieht es allerdings beim  Internationalen Management aus. Auch heute ist der Kontakt mit ausländischen Zulieferern oder Kunden von kulturellen Unterschieden und manchmal sogar Barrieren geprägt. Besonders ein erfolgreicher Auslandsmanager muss  diese Unterschiede möglichst genau kennen und berücksichtigen.

Internationales Management liegt vor, wenn das Operationsgebiet der Unternehmung oder einer anderen Institution über die Grenze des eigenen Staatsgebietes, das hier als „Stammland" bezeichnet wird, hinausreicht (Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 4). Diese weite Abgrenzung ist sinnvoll, weil selbst bspw. bei dem einfachen Import ausländischer Waren oder Export eigener Produkte eine zielbezogene Kommunikation mit ausländi­schen Interaktionspartnern stattfinden muss. 

Selbst bei dieser relativ geringen Intensität der Grenzüberschreitung können Verständnisprobleme nicht nur durch sprachliche, sondern zum Beispiel auch durch unterschiedliche kulturell bedingte Wertvorstellungen oder divergierende rechtliche Normen entstehen. Schon beim indirekten Export ist eine Umweltberücksichtigung im Zielland bezüglich der Produktqualität erforderlich. Für den direkten Import oder Export spielen Verhandlungsfähigkeiten und -eigenarten der Verhandlungspartner eine zusätzliche Rolle.

Die überraschend schnelle und weltweit akzeptierte Entwicklung des Internets hat zu einem verstärkten Austausch und zur weltweiten Verfügbarkeit von Informationen geführt. Manche vermuten, dass die weltweite wirtschaftliche Verflechtung, die so genannte Globalisierung - und die weltweite Verfügbarkeit von Informationen zu einer umfassenden Vereinheitlichung des Denkens und der Wertvorstellungen führen wird, so dass frühere Probleme des Internationalen Managements in Zukunft nicht mehr existieren werden.

Diese Vermutung darf zu Recht bezweifelt werden. Zwar sind Anpassungen im Konsumentenverhalten aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen beobachtbar, jedoch ist es äußerst unwahrscheinlich, dass überlieferte Traditionen sich vollständig auflösen und in einer einheitlichen Weltkultur aufgehen. Wenn schon innerhalb Deutschlands trotz jahrzehntelangen Zusammenlebens in einem Staat immer noch bestimmte kulturelle Unterschiede etwa zwischen Bayern und Niedersachsen bestehen, so ist einsichtig, dass sich Unterschiede zwischen Mexiko, Südafrika und Deutschland nicht innerhalb weniger Jahrzehnte nivellieren werden. Dies ist bereits aufgrund der sprachlichen Unterschiede ausgeschlossen.

Mag man nun auch Vermutungen darüber anstellen, ob wir in einem oder zwei Jahrtausenden vielleicht eine relativ einheitliche Weltkultur erreicht haben - so wird dennoch Einvernehmen darüber bestehen, dass kulturelle Unterschiede in den nächsten Jahrhunderten weiterhin das Kernproblem des Internationalen Managements sein werden (vgl. auch Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 145, 213 ff.).

Daher wird auch in naher und ferner Zukunft der „Fremdheitsgrad" der Gastland-Umwelt von Bedeutung sein. Der Fremdheitsgrad bezeichnet den subjektiv empfundenen Mangel des Managers bzw.  Entscheidungsträgers an Informationen über die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die Konsequenzen seiner Entscheidungsalternativen (Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 128, 216 f.).

Dülfer schlägt eine zweidimensionale Analyse der Umweltbeziehung der Unternehmung bzw.  des Entscheidungsträgers vor (Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 239 f.). Für den Entscheidungsträger/Manager geht es um die Fragen:

Mit wem habe ich es zu tun? Und: Mit welchen Verhaltensbesonderheiten muss ich bei ihm rechnen?

Zu den typischen Interaktionspartnern gehören im Gastland neben Kunden, Banken, Versicherungen, Unternehmensberatungen, Rechtsanwälten, Handelsbetrieben etc. auch Wettbewerber, Behörden und Politiker. In manchen Ländern haben auch religiöse oder ethnische Autoritäten einen großen Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen.

 

Die Unternehmung umfasst nach dem Insidermodell bzw.  Koalitionsmodell die Manager (M), die Kapitalgeber (zum Beispiel Aktionäre und andere Eigentümer) und gegebenenfalls Kooperationspartner im Joint Venture und die vertraglich gebundenen Mitarbeiter. Schematisch lassen sich die typischen Interaktionspartner folgendermaßen darstellen:

 

 

 

Das Verhalten der Interaktionspartner wird durch die Umwelt des Gastlandes beeinflusst, worunter nicht nur die ökologische Umwelt, sondern das gesamte Umfeld zu verstehen ist. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die natürliche Umwelt. Sie kann sich etwa hinsichtlich der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit und des Luftdrucks gravierend auf die Leistungsfähigkeit von Menschen auswirken. Über die natürliche Umwelt hinaus ist die kulturelle Umwelt von entscheidender Bedeutung für das Internationale Management.

 

 

 

Jede beabsichtigte Veränderung der Natur durch den Menschen erfordert zweierlei: Zum einen die Fähigkeit, die Beschaffenheit, Struktur und Funktionsweise der natürlichen Systeme in einem bestimmten Umfang zu erkennen (Fähigkeit zur Realitätserkenntnis); zum anderen aber auch einen bestimmten Stand seiner verfahrenstechnischen Kenntnisse (Technologie), die es ihm ermöglichen, analytisch gewonnene Erkenntnisse in zielorientiertes Handeln (Technik) umzusetzen.

 

Der Aufbau der Umweltschichten

Daher wird der Stand der Realitätserkenntnis und Technologie als unterste Schicht der kulturellen Umwelt betrachtet. Zu den kulturell bedingten Wertvorstellungen zählen Glaube, Einstellungen und Prinzipien des Individuums. Auf der Grundlage dieser Wertvorstellungen vollziehen sich soziale Beziehungen und Bindungen. Diese können in den unterschiedlichsten Formen der organisierten Mitgliedschaft (beispielsweise wirtschaftliche Interessengruppen wie Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften) bis hin zu informellen Gruppierungen auftreten. Diese Gruppen haben selbst wiederum einen Einfluss auf die Wertungen der Gruppenmitglieder und der Öffentlichkeit, so dass zwischen den Schichten Interdependenzen deutlich zu erkennen sind.

Aus den Regelungen der sozialen Beziehungen und Bindungen ergeben sich im Lauf der Zeit rechtliche Normen. Diese sollen eine regelnde Funktion bei der Durchführung von Handlungen und Schlichtung von Streitigkeiten ausüben. Sie dienen dem interpersonellen und interinstitutionellen Interessenausgleich und der Harmonisierung des Zusammenlebens. Rechtsnormen sind einerseits das Ergebnis sozialer Beziehungen und Interaktionen und beeinflussen andererseits die weitere Entwicklung der Beziehungen, zum Beispiel zwischen Wirtschaftssubjekten. In vielen Ländern werden die rechtlichen Normen durch politische Normen ergänzt, verstärkt oder abgewandelt. Politische Normen sind hier zu verstehen als ideologisch begründete Gebote und Verbote für individuelles Verhalten, die von politischen Machtzentren außerhalb des positiven Rechts, aber unter Benutzung hoheitlicher Machtmittel und unter Berufung auf die staatliche Autorität eingeführt werden (Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 248). Unter Diktaturen sind die Auswirkungen politischer Normen besonders deutlich erkennbar.

Genetische Betrachtungsweise der Umweltschichten

Das von Dülfer (1991-1997) entwickelte Schichtenmodell der Umweltdifferenzierung und -berücksichtigung erfasst die für das Internationale Management relevante kulturelle Umwelt vollständig. Dadurch unterscheidet es sich von anderen Modellen der Umweltberücksichtigung zur Erforschung des Internationalen Managements. Die Auswahl der Umweltkategorien erfolgt nicht zufällig oder willkürlich, sondern ergibt sich aus einer bestimmten Logik: Mit einer genetischen (evolutionstheoretischen) Betrachtungsweise lässt sich feststellen, dass in Kulturbereichen

  • die natürlichen Gegebenheiten den Stand der Realitätserkenntnis und Technologie beeinflussen,
  • der Stand der Realitätserkenntnis und Technologie sich intensiv auf die kulturell bedingten Wertvorstellungen auswirkt,
  • die kulturell bedingten Wertvorstellungen eine konstituierende Bedeutung für die Gestaltung sozialer Beziehungen und Bindungen haben,
  • die Formen und Abläufe sozialer Beziehungen und Bindungen sich konstituierend auf die rechtlich-politischen Normen auswirken,
  • die rechtlich-politischen Normen einen bestimmenden Einfluss auf die Gestaltung der Institutionen wie Banken, Gewerkschaften und Behörden haben und Rahmenbedingungen für die Interaktionspartner der Aufgabenumwelt bilden.

Die dargestellten Schichten beeinflussen sich gegenseitig. Das Modell beschreibt zutreffend, welche Einflüsse und Zusammenhänge der Entscheidungsträger bei internationaler Unternehmenstätigkeit beachten muss. Die unterschiedlichen Schichten wirken simultan auf die Unternehmung und ihre Interaktionspartner ein. Die Auswirkungen gleicher Umwelteinflüsse können auf die Interaktionspartner allerdings unterschiedlich sein. Eine jahrelange kulturelle Prägung wird sich beispielsweise auf den Umgang mit Normen auswirken.

 

 

 

Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass die Schichten sich nicht nur auf die internationale Unternehmenstätigkeit auswirken, sondern auch die Mitglieder der Unternehmung direkt betreffen. So wird zum Beispiel ein deutscher Manager, der in Südafrika in einer Niederlassung tätig ist, selbst unmittelbar von den Schichten betroffen. Seine Handlungsalternativen werden von den dort herrschenden rechtlichen und politischen Normen, den sozialen Beziehungen und Bindungen, den kulturell bedingten Wertvorstellungen, den Stand der Realitätserkenntnis und Technologie sowie von den natürlichen Gegebenheiten in Südafrika eingeschränkt oder erweitert. Daraus ergeben sich besondere Qualifikationserfordernisse an den Manager, der sich vor Ort in einem Gastland befindet (Auslandsmanager). Erscheint die fachlich-berufliche Qualifikation gegeben, ist von Interesse, ob der Kandidat über die für einen Auslandseinsatz relevanten Persönlichkeitsmerkmale sowie die erforderliche physische und psychische Kondition verfügt.

Besonders sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen: die Kommunikationsfähigkeit in fremden Kulturen, die Offenheit für fremde Kulturen, die Akzeptanz von fremdem Verhalten, die Fähigkeit und Bereitschaft zur eigenen Verhaltensanpassung, die gesundheitlich-physische Kondition, die psychische Belastbarkeit, die familiäre Flexibilität und die ausgeprägte Motivation für den Auslandseinsatz (Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 521 ff.).

Um den Anforderungen während des Auslandseinsatzes gerecht werden zu können, ist eine gründliche Vorbereitung erforderlich. In weltweit operierenden deutschen Industrieunternehmungen werden idealerweise zur Vorbereitung auf einen mehrjährigen Auslandseinsatz auf das jeweilige Gastland abgestimmte Programme durchgeführt. Diese Programme umfassen beispielsweise:

  • Das Informationsgespräch, in dem die Ziele des Einsatzes, seine Dauer, mögliche Funktionen bei und nach dem Einsatz sowie die Kostenverteilung erörtert werden.
  • Der Mitarbeiter wird im Detail über die Rahmenbedingungen des Einsatzes und die zu erwartenden Lebens-, Umwelt- und Arbeitsbedingungen informiert.
  • Eine Informationsmappe mit ausführlichen Informationen über das Land, die Niederlassung oder Tochtergesellschaft und andere Aspekte des Aufenthalts im Gastland.
  • Einen Look & See Trip in Form einer ein- bis zweiwöchigen Reise mit Ehepartner zur persönlichen Information vor Ort.
  • Eine Sprachvorbereitung, die im Bedarfsfall während des Einsatzes fortgesetzt wird.
  • Ein interkulturelles Training mit ausführlicher Information über die kulturellen Umweltbedingungen.
  • Für besondere Projekte auch Vorbereitungsworkshops.
  • Eine ärztliche Untersuchung.

Der Erfolg des Programms kann unterstützt werden, indem jedem Kandidaten ein Mentor an die Seite gestellt wird, der für die Durchführung des individuellen Personalentwicklungsplanes verantwortlich ist. (Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 537 ff.)

 

© Bernd Jöstingmeier 2008. Veröffentlicht bei economag, Nr. 6/2008.

Fundstelle: http://www.economag.de/magazin/2008/6/108+Internationales+Management

 

Weiterführende Literatur

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